Spätestens am 4. Mai 2020 nehmen auch die letzten Baustellen ihre Tätigkeit wieder auf. Aufgrund der grassierenden Corona-Pandemie, sehen sich die Betriebe mit zusätzlichen Sicherheitsvorschriften konfrontiert. Diese neuen Vorgaben genießen bindenden Charakter und gesellen sich nebst den herkömmlichen Bestimmungen zum Gesundheitsschutz und zur Arbeitssicherheit. Auch bleibt das bisherige Haftungsregime der Reihe an Rechtssubjekten, die im Konstrukt der Arbeitssicherheit mitwirken, weitgehend unverändert. Dies hat zur Folge, dass jeder Betroffene, entsprechend seinem Aufgabenbereich, für die Einhaltung und Umsetzung der neuartigen, Covid-19 bedingten Regeln Sorge zu tragen hat.

In den letzten Wochen waren die Regierung und die Sozialpartner (vor allem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände) besonders aktiv und haben eine Fülle an Protokollen zur Vorbeugung der Pandemie verabschiedet.

In Bezug auf den Bausektor, sind zum heutigen Datum (29.04.2020) die nachstehenden Protokolle in Kraft:

1)    „Gemeinsames Protokoll zur Regelung der Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus am Arbeitsplatz“ vom 14. März 2020: die Vereinbarung findet interdisziplinär auf alle Wirtschaftssektoren Anwendung;
2)    „Gemeinsames Protokoll zur Regelung der Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus auf Baustellen” vom 19. März 2020: das Dokument wurde lediglich von einigen Sozialpartner des Bauwesens unterfertigt und gilt spezifisch für den Bausektor;
3)    „Gemeinsames Protokoll zur Regelung der Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus in den Arbeitsstätten des Bausektors“ vom 24. März 2020: dem Protokoll sind alle Sozialpartner des Bauwesens beigetreten;
4)    „Gemeinsames Protokoll zur Ergänzung des Protokolls zur Regelung der Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Virus Covid-19 am Arbeitsplatz vom 14. März 2020”, welches am 24. April 2020 unterzeichnet wurde: das Protokoll integriert die ursprüngliche Vereinbarung und greift in der Folge interdisziplinär für alle Wirtschaftssektoren;
5)    „Gemeinsames Protokoll zur Regelung der Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus auf Baustellen” vom 24. April 2020, welches das ursprüngliche, gleichnamige Protokoll vom 24. März 2020 integriert und gezielt im Bausektor Anwendung findet;
6)    „Leitlinien für Tätigkeiten auf öffentlichen und privaten Baustellen und Arbeitsstätten“, die am 16. April 2020 vom Paritätischen Komitee im Bauwesen und von der Bilateralen Körperschaft für die Sicherheit des Handwerks genehmigt wurden: das Protokoll gilt ausschließlich für den Bausektor in Südtirol und wurde bereits in unserer News vom 18.04.2020 angesprochen.

Entsprechend deren vertraglichen Natur, dürften die Protokolle lediglich weisenden und empfehlenden Charakter aufweisen und – unbeschadet eines freiwilligen Beitritts oder einer stillschweigenden Anwendung seitens Dritter – ausschließlich auf die unterzeichnenden Verbände sowie deren Mitglieder Anwendung finden. Nichtsdestotrotz hat sowohl die nationale als auch die lokale Regierung in ihren jüngsten Dringlichkeitsmaßnahmen auf die Protokolle verwiesen bzw. diese in Anlage beigefügt, sowie sämtliche (derzeit operativen) Betriebe zu deren Beachtung verpflichtet (für das Protokoll sub Nr. 1 siehe Art. 1, Abs. 3, DPCM vom 22. März 2020 sowie Art. 49 Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr im Verzug des Südtiroler Landeshauptmannes Nr. 20/2020 vom 13.04.2020; für das Protokoll sub Nr. 4 siehe Art. 2, Abs. 6, sowie Anlage 6 DPCM vom 26. April 2020; für das Protokoll sub Nr. 5 siehe Art. 2, Abs. 6, sowie Anlage 7 DPCM vom 26. April 2020; für die Leitlinien sub Nr. 6 siehe Art. 2 Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr im Verzug des Südtiroler Landeshauptmannes Nr. 21/2020 vom 18.04.2020).

Für die Bautätigkeit in Südtirol wurden jüngst allgemein sämtliche „Richtlinien und Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern“ im Bausektor als bindend erachtet (Art. 5 Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr im Verzug des Südtiroler Landeshauptmannes Nr. 23/2020 vom 26.04.2020). Fakt ist, dass die obgenannten Protokolle nunmehr rechtsverbindlich sind und von allen in Südtirol ansässigen Betrieben zwingend eingehalten werden müssen.

Den Inhalt dieser Protokolle grob zusammenfassend, schreiben selbige detaillierte Regelungen hinsichtlich der Unterteilung der Baustellen in Risikozonen, der Mobilität des Personals zwischen Wohnort und Baustelle, der Nutzung von Firmenfahrzeugen vonseiten der Mitarbeiter, der Handhabung der Materialanlieferung an die Baustelle, der Arten von Schutzmaßnahmen und der individuellen Schutzausrüstung, der Belüftung und der Desinfektion der Arbeitsplätze bzw. der Ausrüstung, der Nutzung der Gemeinschaftsbereiche sowie der Zugangskontrollen zur Baustelle vor. Zudem legen die Protokolle allgemeine Gesundheitsmaßnahmen und Verhaltensregeln, auch bei Auftreten eines Verdachtsfalls, nebst besonderer Informations- und Mitteilungspflichten sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers fest.

Selbst wenn sich die Protokolle stellenweise ausdrücklich auf den Arbeitgeber beziehen (z.B. Aufklärungspflicht), gilt dieser nicht als einziger Verantwortlicher für die Sicherheit auf der Baustelle. So sind die neuartigen Covid-19-Sicherheitsvorschriften nach wie vor in Verbindung mit dem sog. „Einheitstext für Arbeitssicherheit“ (G.v.D. Nr. 81 vom 09.04.2008) zu lesen. Der Einheitstext sieht bekanntlich eine Reihe an Rechtssubjekten vor, welche – stets im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten – ebenso dem durch Covid-19 bewirkten biologischen Risiko vorzubeugen haben.

So sind, nebst dem Arbeitgeber, auch der Bauleiter (direttore dei lavori) und der Verantwortliche der Arbeiten (responsabile dei lavori) – welche vom Auftraggeber/Bauherrn ernannt werden und in dessen Haftungsposition eintreten – mit dem Sicherheitsmanagement auf der Baustelle befasst. Selbiges gilt für den Sicherheitskoordinator in der Planungsphase (coordinatore per la sicurezza in fase di progettazione), den Sicherheitskoordinator in der Ausführungsphase (coordinatore per la sicurezza in fase di esecuzione), den technischen Direktor (direttore tecnico di cantiere), den zuständigen Betriebsarzt (medico competente), den Leiter des Arbeitsschutzdienstes (responsabile del servizio prevenzione e protezione), den Erste-Hilfe-Beauftragten (addetto alle emergenze), den Vorarbeiter (capo cantiere), den Sicherheitssprecher der Arbeitnehmer (rappresentante dei lavoratori per la sicurezza) und nicht zuletzt auch für den einzelnen Arbeitnehmer (besondere Mitteilungspflichten). Der Projektant (progettista) scheint hingegen lediglich für die technische Richtigkeit seines Projekts und den daraus resultierenden Folgeschäden verantwortlich zu sein, sofern er nicht gleichzeitig auch mit einer der eben genannten Aufgaben betraut ist.

Für Südtiroler Bauunternehmen schreiben die Leitlinien vom 16. April 2020 insbesondere vor, dass die Sicherheitskoordinatoren der Planungs- und Ausführungsphase – noch vor der Wiederaufnahme der Bauarbeiten – sowohl den Einsatzsicherheitsplan (piano operativo della sicurezza) als auch den Sicherheits- und Koordinierungsplan (piano di sicurezza e coordinamento) im Lichte des neuen biologischen Risikos anzupassen und zu integrieren haben. Das Ergebnis der Risikoanalysen und die angewandten Verfahren müssen den Plänen als Auszug beigefügt werden.

Aus den bezeichneten Leitlinien ergibt sich überdies, dass der Arbeitgeber, in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Betriebsarzt und dem von den Arbeitnehmern gewählten Sicherheitssprecher, auch zur Aktualisierung des sog. Dokuments zur Risikobewertung des Betriebes (documento valutazione rischio) verpflichtet ist. Mit dieser Südtirol-spezifischen Regelung weichen das Paritätische Komitee im Bauwesen und die Bilaterale Körperschaft für die Sicherheit des Handwerks offensichtlich von den Vorgaben der nationalen Arbeitsaufsichtsbehörde ab. Letztere hatte ursprünglich mit Mitteilung Nr. 89 vom 13. März 2020 festgehalten, dass die betriebliche Risikobewertung dann nicht zu aktualisieren sei, wenn (wie im Anlassfall der Baustellen) das Ansteckungsrisiko dem Betrieb nicht direkt innewohnt und nicht unabdingbar mit der Erbringung der Arbeitsleistung in Verbindung steht.

Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber bestimmt und überprüft, wer von den Bauleitern und Vorarbeitern dafür verantwortlich ist, dass die neuen, Covid-19 bedingten Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen von den Arbeitnehmern eingehalten werden. Auch das Kollegium der Bauunternehmer, die Gewerkschaften und die INAIL haben bereits verschärfte Kontrollen der Bautätigkeit in Südtirol angekündigt.

Für nähere Informationen zu diesem Thema sowie eine fachspezifische Bewertung von Haftungsfragen im Einzelfall sind wir gerne für Sie da.

RA Kathrin Platter und RA Julian Daniel