„Die Mutter aller Reformen“ – so nennt Ministerpräsident Conte die insgesamt 65 Artikel des Gestzesdekretes Nr. 76/2020. Das sogenannte „Decreto Semplificazioni“, welches am 16. Juli 2020 im Amtsblatt der Republik veröffentlicht wurde und am 17. Juli 2020 in Kraft getreten ist, sieht tiefgreifende Neuerungen im Bereich des Vergaberechts, der Urbanistik und der öffentlichen Verwaltung vor.


Im Fokus steht insbesondere die Effizienzsteigerung des italienischen Verwaltungsapparates.

In erster Linie wurde durch Artikel 23 des Dekretes der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs überarbeitet. Im betroffenen Artikel 323 des Strafgesetzbuches wurde die Formulierung “il pubblico ufficiale o l'incaricato di pubblico servizio che, nello svolgimento delle funzioni o del servizio, in violazione di norme di legge o di regolamento […] procura a sé o ad altri un ingiusto vantaggio patrimoniale ovvero arreca ad altri un danno ingiusto […]" durch eine merkbar restriktivere Formulierung ersetzt. In der Folge erweist sich für den Amtsmissbrauch lediglich die Verletzung von "specifiche regole di condotta espressamente previste dalla legge o da atti aventi forza di legge e dalle quali non residuino margini di discrezionalità” als strafrechtlich relevant.

Durch diese Novellierung wird ausgeschlossen, dass Beamte aufgrund der Verletzung von bloß allgemeinen Rechtsprinzipien – wie beispielsweise dem Unparteilichkeitsprinzip gemäß Artikel 97 der Verfassung – wegen Amtsmissbrauch belangt werden können. Ebenso werden Ermessenshandlungen vom Straftatbestand ausgenommen, mit der Konsequenz, dass eine Befugnisüberschreitung nicht mehr als Amtsmissbrauch gewertet werden kann.

Sollte die Notverordnung in Gesetz umgewandelt werden, würde dies eine teilweise Abschaffung des gegenständlichen Straftatbestandes (abolitio criminis) bedingen und die Handlungsspielräume der öffentlichen Beamten erheblich erweitern.

Neben dieser strafrechtlichen Novellierung, sind auch diverse Neuerungen auf Verwaltungsebene vorgesehen.

Bekanntlich haften öffentliche Beamte im Rechnungswesen vor dem Rechnungshof für vorsätzlich oder grob fahrlässig gesetzte Fehlhandlungen (Gesetz vom 14. Jänner 1994, Nr. 20). In der Praxis kann daher der Fall eintreten, dass öffentliche Bedienstete, aus Angst vor Haftung bei Fehlverhalten, eine Handlung gänzlich unterlassen (sog. „sindrome della firma“), was wiederum negative Auswirkungen auf die Effizienz und Produktivität der Verwaltung hat.

Um diesem Umstand vorzubeugen, sieht Artikel 21 der Notverordnung vor, dass für eine vorsätzliche Verurteilung des Beamten der Beweis dessen Vorsatzes nicht nur in Bezug auf die Handlung, sondern auch auf das Schadensereignis gelingen muss (“all'articolo 1, comma 1, della legge 14 gennaio 1994, n. 20, dopo il primo periodo è inserito il seguente: ‘La prova del dolo richiede la dimostrazione della volontà dell'evento dannoso‘”).

Bemerkenswert ist die Neuerung des zweiten Absatzes der gegenständlichen Bestimmung. Diese Übergangsnorm, welche sich nur auf im Zeitraum vom 17. Juli 2020 bis 31. Juli 2021 gesetzte Amtstätigkeiten bezieht, bestimmt, dass untätige Beamte mehr riskieren, als jene, die aktiv handeln (“la responsabilità dei soggetti sottoposti alla giurisdizione della Corte dei conti in materia di contabilità pubblica per l'azione di responsabilità di cui all'articolo 1 della legge 14 gennaio 1994, n. 20, è limitata ai casi in cui la produzione del danno conseguente alla condotta del soggetto agente è da lui dolosamente voluta. La limitazione di responsabilità prevista dal primo periodo non si applica per i danni cagionati da omissione o inerzia del soggetto agente”).

Im Detail, müssen sich aktiv handelnde Beamte vor dem Rechnungshof ausschließlich dann verantworten, wenn sie das Schadensereignis mit Vorsatz verursacht haben. Im Gegensatz dazu, reicht bei einer Unterlassung von amtlichen Handlungen bereits ein grob fahrlässiges Verhalten aus, um sich vor dem Rechnungshof verantworten zu müssen.

Der Gesetzgeber verfolgt augenscheinlich das Ziel, durch Neuregelung der Beamtenhaftung den Verwaltungsapparat zu beschleunigen.
RA Peter Platter, RA Julian Daniel und Dott.ssa Anna Tomasi