Welche sind die rechtlichen Folgen der Corona Krise auf bestehende Vertragsverhältnisse?
Bin ich weiter zur Erfüllung verpflichtet und in welchem Ausmaß?
Kann ich aufgrund der Corona Krise vom Vertrag zurücktreten?
Kann ich meine Leistung vorübergehend aussetzen ohne das Vertragsverhältnis zu gefährden?

Dies sind nur einige der derzeit häufig gestellten Fragen im Zusammenhang mit den Folgen des Corona Virus bzw. der in diesem Zusammenhang ergangenen Notgesetzgebung.

Bei der Beantwortung obiger Fragen, müssen vorerst die spezifischen Klauseln des jeweiligen Vertragsverhältnisses analysiert werden. Eine weitreichende Vertragsautonomie bietet den Parteien großen Gestaltungsspielraum. Daher gilt es vorab zu prüfen, ob es im Vertrag eine Regelung gibt, die auf die Problematik des Corona Virus Anwendung findet.

Dabei handelt es sich um spezifische Vereinbarungen zu Fällen von höherer Gewalt, sprich Ereignissen, die außergewöhnlich, nicht vorhersehbar und dem Schuldner nicht anzulasten sind. Verschieden können die von den Parteien vereinbarten Folgen sein. So kann eine vorübergehende Aussetzung der Verpflichtung, eine ausdrückliche Rücktrittsklausel oder auch eine ausdrückliche Auflösungsklausel oder auch eine Verpflichtung zur Nachverhandlung nach Billigkeit vereinbart worden sein.

Fehlen solche spezifischen Vereinbarungen im Vertrag, so kommen die im italienischen Zivilrecht verankerten allgemeinen Rechtsprinzipien zur Anwendung.   

Vertragsparteien sehen sich aufgrund des Corona Virus hauptsächlich mit folgenden Situationen konfrontiert:


a)    die Vertragsleistung wird durch die gesetzlichen Maßnahmen entweder gänzlich (z.B. Flugreise) oder teilweise unmöglich (z.B. Gewerbetätigkeit in angemieteten Räumlichkeiten);  oder

b)    die Vertragsleistung einer von zwei verpflichteten Vertragsparteien, wird durch die Maßnahmen übermäßig erschwert (z.B. Mietvertrag; Lieferverträge), sodass das ursprüngliche Vertragsgleichgewicht nicht mehr gegeben ist.


Allgemeine Regel des vertraglichen Haftungsrechtes ist gemäß Artikel 1218 ZGB, dass ein Schuldner einer Vertragsleistung dann zum Schadenersatz verpflichtet ist, wenn er nicht nachweisen kann, dass die Nichterfüllung oder die Verspätung der Erfüllung aufgrund der Unmöglichkeit der Leistung oder eines Grundes, der ihm nicht angelastet werden kann, eingetreten ist.
Der Artikel 1256 ZGB bestimmt weiters, dass eine Vertragspflicht erlischt, wenn die Leistung aus einem Grunde unmöglich wird, der dem Schuldner nicht angelastet werden kann.

Auch der Artikel 91 der Eilverordnung des Ministerpräsidenten CuraItalia vom 17. März 2020, der den Absatz 6bis an den Artikel 3 der Eilverordnung Nr.6/2020 anfügt, bestimmt, dass „die Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung dieses Dekretes immer als Haftungsausschluss,  im Sinne der Artikel 1218 und 1223 ff. ZGB der Haftung des Schulnders gewertet werden, auch hinsichtlich der Anwendung von eventuellen Verwirkungen oder Strafgeldern im Zusammenhang mit der Verspätung oder unterlasser  Erfüllung“.

Verordnungen oder Verbote der Verwaltungshoheit, s.g. factum principis, werden in der Regel als rechtfertigender Grund obigen Haftungsausschlusses gewertet, soweit (bzw. für den Zeitraum, in welchem) sie dem Schuldner eine Vertragserfüllung verunmöglichen. Es ist demnach davon auszugehen, dass auch die Eilverordnungen des Ministerpräsidenten und/oder des Landeshauptmannes in diesem Sinne zu werten sind. 

Konkret bedeutet dies, dass der Schuldner einer vertraglichen Leistung nach erbrachtem Beweis, der objektiven Unmöglichkeit der Leistung und weiters, des Umstandes, dass diese Unmöglichkeit (oder Verspätung) der Leistung auf einen Umstand zurückzuführen ist, der ihm nicht angelastet werden kann (z.B. factum principis: Tätigkeitsverbot) entweder gänzlich von der vertraglichen Leistung befreit ist (die Vertragspflicht ist erloschen) oder, bei nur zeitweiliger Unmöglichkeit, für die verspätete Leistung nicht haftbar gemacht werden kann.

Die Vertragsleistung erlischt laut Gesetz jedenfalls (automatisch und von Rechts wegen) und kann nicht mehr eingefordert werden, wenn die Unmöglichkeit der Vertragsleistung solange andauert, dass in Bezug auf den Rechtstitel und die Natur des Vertragsgegenstandes der Schuldner als nicht mehr verpflichtet angesehen werden kann, oder der Gläubiger kein Interesse mehr an der Erfüllung des Vertrages hat (Art. 1174, 1288 ff. ZGB).

In diesem Fall ist die andere Partei zur Rückgabe einer eventuell bereits erhaltenen Leistung verpflichtet:  z.B. Fluggesellschaft zur Rückgabe des gelöschten und vom Gast bereits bezahlten Fluges.

Bei Verträgen mit gegenseitigen Vertragsleistungen ist bei gänzlicher Unmöglichkeit der Leistung (und demnach Erlöschen der Vertragsleistung) zum Schutz der anderen Vertragspartei im Artikel 1463 ZGB vorgesehen, dass auch diese Partei im Sinne des Vertragsgleichgewichtes von ihrer Leistung befreit ist, bei Verpflichtung zur Rückerstattung dessen, was sie eventuell bereits erhalten haben sollte.

Bei Verträgen mit gegenseitigen Vertragsleistungen ist auch der Fall der teilweisen Unmöglichkeit der Vertragsleistung geregelt: der Gläubiger der nicht gänzlich, sondern nur teilweise unmöglichen Vertragsleistung hat laut Artikel 1464 ZGB das Recht zu entscheiden, ob er an der Erfüllung der teilweisen Vertragsleistung Interesse hat, oder nicht. Falls ja, hat er das Recht eine Reduzierung der eigenen Vertragsleistung zu verlangen, falls er kein Interesse an einer teilweisen Vertragsleistung haben sollte, so kann er vom Vertrag zurücktreten. Der Schuldner der teilweise unmöglichen Vertragsleistung ist demnach bis zur Entscheidung weiterhin verpflichtet, auch wenn er für die eventuelle Verspätung aus den genannten Gründen nicht haftbar gemacht werden kann (könnte bei gewerblichen Mietverträgen und Tätigkeitsverbot zur Anwendung kommen).

Eine weitere Möglichkeit, die auch jedenfalls im individuellen Gespräch zu analysieren ist, da von der Rechtsprechung ausgearbeitet, sieht die Möglichkeit der Auflösung eines Vertrages vor, wenn die Vertragsleistung zwar abstrakt möglich ist, konkret aber der mit dem Vertrag zu erreichende Zweck abhandengekommen ist (z.B. Unmöglichkeit der Nutzung der Vertragsleistung, z.B. bei gewerblichen Mietverträgen aufgrund des Tätigkeitsverbots).
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Die unverhältnismäßige Erschwernis der Vertragsleistung einer der Vertragsparteien bei Verträgen mit gegenseitigen Vertragsleistungen (z.B. Miet- und Pachtverträgen), die durch COVID- 19 und den damit zusammenhängenden Maßnahmen bedingt ist, kann unter Anwendung von Artikel 1467 ZGB eventuell zu einer Vertragsauflösung berechtigen.

Das Gesetz sieht im Artikel 1467 ZGB die Möglichkeit der Auflösung eines Vertrages von Seiten der durch die Erschwernis belasteten Partei vor, wenn die übermäßige Erschwernis der Vertragsleistung nicht als in das normale Vertragsrisiko („alea contrattuale“) fallend bewertet werden kann und die Erschwernis durch außerordentliche und unvorhersehbare Umstände eingetreten ist. Die Wirkungen der Vertragsauflösung sind im Artikel 1458 ZGB geregelt.

Bei Verträgen, in denen sich nur eine Partei zu Leistungen verpflichtet hat (z.B. kostenlose Darlehen) kann keine Auflösung verlangt, sondern nur eine Abänderung der Leistung oder der Modalitäten der Erfüllung verlangt werden, die das ursprüngliche Vertragsgleichgewicht wieder herstellen (Art. 1468 ZGB).

Allgemeine Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmungen und demnach das (einseitige) Recht der Auflösung eines solchen Vertrages mit beidseitigen Leistungen sind 1) ein nachfolgendes und bei Vertragsabschluss nicht bestehendes Ungleichgewicht der Vertragsleistungen; 2) außerordentliche und unvorhersehbare Umstände, die nach Vertragsabschluss zum aktuellen Ungleichgewicht geführt haben.

Bei der Bewertung der „außerordentlichen“ Umstände werden objektive Kriterien angewandt, sprich die Häufigkeit des Umstandes, dessen Ausmaß und Intensität usw.

Es ist demnach wohl davon auszugehen, dass die Pandemie und die damit einhergehenden Umsatzeinbußen als solcher außerordentlicher und unvorhersehbarer Umstand gesehen werden können, die für den Fall der unverhältnismäßigen Erschwernis („eccessiva onerosità“) der Vertragsleistung einer der Parteien - z.B. in einem Mietverhältnis - die Auflösung desselben möglich machen. 

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die derzeitige Ausnahmesituation im Zusammenhang mit COVID-19 gegebenenfalls einen Haftungsausschluss für Nichterfüllung oder verspätete Vertragserfüllung bedingen kann.

Weiters stehen unterschiedliche gesetzliche Rechtsmittel zur Verfügung, die im Fall der gänzlichen Unmöglichkeit einer Vertragsleistung dazu führen, dass diese erlischt und demnach ohne Schadenersatzpflicht nicht mehr geschuldet ist; die im Falle der zeitweiligen Unmöglichkeit der Vertragsleistung dieselbe ohne Schadenersatzpflicht aussetzen; die im Falle der nur mehr teilweise möglichen Vertragsleistung dem Gläubiger das Recht zuerkennen, je nach Interesse entweder die Reduzierung der eigenen Gegenleistung zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten; die im Falle einer unverhältnismäßigen Erschwernis der Leistung, die Möglichkeit der Auflösung des Vertrages bieten.


RA Kathrin Platter