Wie bereits in unserer News vom 15.04.2020 berichtet, gilt die nachweislich am oder auf dem Weg zum Arbeitsplatz erfolgte Virusinfektion des Arbeitnehmers in Ausübung dessen Arbeitstätigkeit als Arbeitsunfall (Artikel 42, Absatz 2 der Eilverordnung „Cura Italia“ Nr. 18 vom 17. März 2020; Rundschreiben des INAIL Nr. 13 vom 3. April 2020).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen, steht dem betroffenen Arbeitnehmer in der Folge eine Entschädigung seitens des INAIL zu.

Umgekehrt sieht sich der Arbeitgeber mit der Fragestellung konfrontiert, ob er für den Arbeitsunfall zivil- und/oder strafrechtlich belangt werden kann. Dies hätte wiederum zur Folge, dass das INAIL die an den Arbeitnehmer ausgeschüttete Entschädigung im Regresswege beim Arbeitgeber – der den Arbeitsunfall verschuldet oder nicht verhindert hat – rückfordert (Artikel 10 und 11 D.P.R. Nr. 1124/1965).

Diese Frage der Haftung kann allgemein im Lichte des Verschuldungsprinzips beantwortet werden.

Bei einer schuldhaften, sprich fahrlässigen Verursachung des Arbeitsunfalles durch den Arbeitgeber, welcher die geltenden Sicherheitsvorschriften nicht einhält (sei es aktiv als auch durch Unterlassung), sind Strafzahlungen oder zeitweilige Betriebseinstellung, auch im Sinne einer verwaltungsrechtlichen Haftung des Unternehmens (Gesetz Nr. 231/2001), sowie Schadenersatzzahlungen (zivilrechtliche Haftung) und/oder eine strafrechtliche Verantwortung (fahrlässige Körperverletzung oder gar Tötung) des Unternehmers zu erwarten.

Diesem Risiko kann der Unternehmer jedoch entgegenwirken, indem er die strikte Einhaltung aller derzeit geltenden Sicherheitsprotokolle und eventuellen weiteren spezifischen Maßnahmen des Unternehmens gewährleistet und v.a. auch konstant überwacht und die Kontrollergebnisse verschriftlicht, sowie Fernarbeit im größtmöglichen Umfang fördert, sofern Zweites mit der Betriebsorganisation vereinbar ist.

Die einschlägigen Sicherheitsprotokolle sind dem Landesgesetz Nr. 4 vom 08.05.2020, durch welches in Südtirol bekanntlich die „Phase 2“ eingeleitet und die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erlaubt wurden, als Anlage beigefügt (das Landesgesetz und die Sicherheitsprotokolle finden Sie hier: http://www.regione.taa.it/bur/pdf/I-II/2020/19/N2/N2192001.pdf).

Besonders wichtig sind die Südtirol-spezifischen „Regeln und Maßnahmen“ laut Anlage A und das sog. „Gemeinsame Protokoll zur Regelung von Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus am Arbeitsplatz zwischen der Regierung und den Sozialpartnern vom 24. April 2020“ gemäß Anlage B zum Landesgesetz (auf dessen Lektüre im obgenannten Link wir Sie verweisen dürfen).

Diese Maßnahmen müssen in ein betriebsinternes Sicherheitsprotokoll übernommen werden, welches den Abreitnehmern zur Einsichtnahme aufliegt und dem sog. „Dokument zur Risikobewertung des Betriebes“ (oder ähnlichem) beigefügt wird. Anzuraten ist weiter, das Risiko der Ansteckung durch Covid-19 im Organisationsmodell des Unternehmens im Sinne des Gesetzes Nr. 231/2001 vorzusehen bzw. bestehende Modelle hinsichtlich ihrer Angemessenheit zu überprüfen. Dabei kann der Wortlaut aus den oben bezeichneten Protokollen übernommen werden, muss aber an die betriebsbedingte Situation angepasst werden. Grundsätzlich ist es wichtig, dass alle im Unternehmen getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verschriftlicht und dokumentarisch belegt sowie konstant kontrolliert werden, um deren Umsetzung im Zweifelsfalle auch beweisen zu können.

In Südtirol hat sich jüngst die Unsicherheit breitgemacht, dass die bezeichneten Sicherheitsprotokolle, die dem Landesgesetz Nr. 4 vom 8. Mai 2020 als Anlagen beigelegt sind, nicht ausreichend seien und daher vom INAIL nicht anerkannt würden.

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass das Protokoll vom 24. April 2020, das dem Landesgesetz als Anlage B beigefügt ist, von der Regierung und den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der bis dahin erlassenen Maßnahmen der Regierung sowie der Bestimmungen des Gesundheitsministeriums erarbeitet worden war. Das Dokument enthält „die von den Parteien geteilten Richtlinien“ und war von diesen mit dem erklärten Ziel ausgearbeitet worden, „den Unternehmen die Verabschiedung von ansteckungsvermeidenden Sicherheitsprotokollen zu erleichtern, das heißt ein Protokoll zur Regelung der Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Covid- 19 Virus am Arbeitsplatz“.

Die in den Medien verbreitete Aussage des INAIL, derzufolge die Sicherheitsmaßnahmen des Landesgesetzes Nr. 4 vom 8. Mai 2020 „nicht angemessen“ oder „unzureichend“ seien, ist demnach zwar nur schwer nachvollziehbar, kann aber auch nicht gänzlich unbeachtet bleiben.

So ist das INAIL, neben der Verwaltung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und der bereichspezifischen Forschung, bekanntlich auch zu italienweiten Erhebungen von Arbeitsunfällen sowie zur Erarbeitung von Richtlinien, Abkommen und Protokollen im Bereich der Arbeitssicherheit und Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz berufen.

Im Streitfall wird demnach immer ein Richter die Einhaltung und Angemessenheit der Sicherheitsmaßnahmen einzelfallbezogen zu bewerten haben (Artikel 11, Absatz 4, D.P.R. Nr. 1124/1965). Dabei ist wohl davon auszugehen, dass der Arbeitgeber – sofern er sich an das Landesgesetz und die darin enthaltenen Richtlinien und Sicherheitsmaßnahmen hält, er die Risikobewertung des Betriebes mit diesem biologischen Risiko erweitert hat und er die Einhaltung der Sicherungsmaßnahmen seitens seiner Angestellten und all jener, die seinen Betrieb betreten (Lieferanten, Kunden), nachweisen kann – bei einem positiven Covid-19 Fall im Betrieb, keine Haftung zu befürchten haben wird.

Es ist jedoch nicht gänzlich auszuschließen, dass ein Richter, bei eventuellem Vorhandensein von zusätzlichen Richtlinien und Vorgaben des INAIL in Bezug auf die Arbeitssicherheitsprotokolle, in der Entscheidungsfindung auch diese im Sinne der Garantieposition des Arbeitgebers nach Artikel 2087 ZGB als eventuell notwendige Maßnahmen werten könnte.

Jene Unternehmen und Arbeitgeber, die – nebst dem herkömmlichen Artikel 2087 Zivilgesetzbuch und dem sog. „Einheitstext für Arbeitssicherheit“ (G.v.D. Nr. 81 vom 09.04.2008) – die geltenden Sicherheitsprotokolle in den Betrieb implementieren und für dessen Einhaltung sorgen, sprich die Maßnahmen auch effektiv umsetzen sowie dokumentarisch belegen, dürften das Risiko der Haftung im obigem Sinne bei der Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs in einem überschaubaren Maße halten.

Für eine fallspezifische Einzelberatung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

RA Kathrin Platter und RA Julian Daniel