Wenn Nachbarkeitsstreitigkeiten ausarten, kann dies unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen zur Folge haben. Wiederholte Lärmstörungen, frei herumlaufende Haustiere auf Gemeinschaftsflächen oder gar Drohungen sind in zerrütteten Nachbarschaftsverhältnissen keine Seltenheit und können mitunter zu Verurteilungen wegen Bedrohung gemäß Artikel 612 Strafgesetzbuch führen.

Die Rechtsprechung ist in den letzten Jahren immer wieder zum Schluss gekommen, dass vom Nachbar ausgehende Störungen wohl auch den Straftatbestand des Stalkings erfüllen können. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn auch tatsächlich die in Art 612bis genannten Voraussetzungen für sog. atti persecutori gegeben sind. Man kann demnach dann von Stalking sprechen, wenn das wiederholte Verhalten einer Person bei einer anderen einen anhaltenden und tatsächlichen Angstzustand oder eine begründete Sorge um die eigene Sicherheit bzw. die Sicherheit nahestehender Personen hervorruft und eine Veränderung der Lebensgewohnheiten des/der Betroffenen zur Folge haben könnte. Durch die Einführung dieser Norm in der italienischen Rechtsordnung wurde eine Gesetzeslücke geschlossen, die von den Artikeln, welche die Bedrohung (Art. 612 StGb), die Belästigung (Art. 660 StGb) und die Nötigung (Art. 610 StGb) betreffen, offen gelassen wurde, da ein besonderes Merkmal des Stalkings das gewohnheitsmäßige Verhalten des Täters ist.  

Während der Artikel 612bis das Stalking im Allgemeinen regelt, ist der Begriff des nachbarschaftlichen  Stalkings oder des sog. stalking condominiale noch in der Entstehungsphase. Diese Straftat wurde bis zum heutigen Tage nicht gesetzlich verankert und ist ein reines Produkt der Rechtsprechung der letzten Jahre.

Einige der zu diesem Thema ergangenen Urteile haben gezeigt, dass sich das Stalking im Nachbarschaftsverhältnis auf unterschiedlichste Art und Weise äußern kann:  Der wiederholte Einsatz von Haustieren um den Nachbarskindern Angst einzujagen (KassGH 31981/2019), Angriffe mit Zement, Öl, Steinen und Luftdruck (KassGH 10994/2020) sowie das Bohren eines Loches in der Wohnungsdecke um ins obere Stockwerk zu schießen (KassGH 12515/2020) sind nur einige Beispiele für nachbarschaftliches Verhalten, welches im Anlassfall eine Verurteilung im Sinne des Art. 612bis zur Folge hatte.

Drohungen und Belästigungen der Nachbarn können im Verfahren u.a. durch Videoaufnahmen der strafbaren Handlungen bewiesen werden, wobei in der Beweisphase nur jenes Videomaterial verwendet werden kann, das an öffentlich zugänglichen Orten gedreht wurde.

Außerdem ist in Bezug auf eine mögliche Verurteilung wegen Stalkings von Bedeutung, dass ein Verfahren nur in Folge eines von der betroffenen Person gestellten Strafantrages eröffnet werden kann, wobei dieser binnen sechs Monaten nach der letzten Tat eingereicht werden muss.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass das nachbarschaftliche Stalking eine neue und mittlerweile auf rechtlicher Ebene etablierte Unterkategorie der Straftat aus Art 612bis StGb darstellt. Es wird an dieser Stelle unterstrichen, dass sich diese Art von Straftat deutlich von einem einfachen Nachbarschaftsstreit abhebt, da das Stalking die im Strafgesetzbuch vorgesehenen Voraussetzungen für diesen Tatbestand erfüllen muss und schwerwiegende Einschränkungen des Lebens der betroffenen Person zur Folge hat.

Falls Sie spezifische Fragen zu diesem Thema haben sollten, beraten wir Sie gerne.

Avv. Peter Platter und Dott.ssa Anna Tomasi