Wer sich am Arbeitsplatz bzw. in Ausübung der Arbeitstätigkeit nachweislich mit COVID- 19 infiziert und erkrankt, erleidet einen Arbeitsunfall. Dem Arbeitnehmer steht demnach der Versicherungsschutz des INAIL für Arbeitsunfälle zu, wenn die medizinisch nachgewiesene Infizierung und Erkrankung im Zusammenhang mit der Erbringung seiner Arbeitsleistung steht. Gelingt dieser Nachweis, können Betroffene einen Antrag auf Entschädigung wegen Arbeitsunfalls im jeweils gesetzlich vorgesehenen Ausmaß stellen.

Das INAIL tritt im Rahmen der versicherten Schäden für die zivilrechtliche Haftung des Arbeitsgebers ein. Die strafrechtliche Verantwortung des Arbeitgebers bleibt davon unberührt. Sollte es nachfolgend zu einer strafrechtlichen Verurteilung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit COVID-19 Erkrankungen kommen, da beispielsweise die Vorschriften der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz nicht eingehalten oder verletzt wurden, so lebt die zivilrechtliche Verantwortung des Arbeitgebers wieder auf.
Dieser besondere INAIL-Versicherungsschutz, der die in Ausübung der Arbeitstätigkeit erlittene Infizierung/Erkrankung einem Arbeitsunfall gleichsetzt, ist im Artikel 42, Absatz 2 der Eilverordnung „Cura Italia“ Nr. 18 vom 17. März 2020 festgesetzt und wird im Rundschreiben des INAIL Nr. 13 vom 3. April 2020 – vor allem hinsichtlich der praktischen Aspekte – näher erläutert.
Unabdingbare Voraussetzung zur Beanspruchung dieses besonderen INAIL-Versicherungsschutzes ist die Feststellung des Arztes, dass die Virusinfektion im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung erfolgt ist. Darunter fällt nicht nur die Ansteckung am Arbeitsplatz im eigentlichen Sinne, sondern auch jene, die auf dem Hin- und Rückweg zur Arbeit erfolgt ist. Im Rundschreiben des INAIL wird präzisiert, dass dieser Nachweis im Lichte der fallspezifischen Umstände, insbesondere der klinischen Vorgeschichte des Betroffenen zu erbringen ist. In Bezug auf jene Arbeitnehmer, die dem COVID- 19 besonders stark ausgesetzt sind – wie etwa Ärzte, Pflege- und Rettungspersonal, aber auch Bedienstete am Front-Office oder an Kassen – wird die Beweislast vom INAIL weniger streng bewertet. Der Versicherungsschutz findet sowohl auf Angestellte im Privatsektor als auch auf öffentliche Bedienstete Anwendung und greift ab dem Tag der ärztlichen Diagnose für die gesamte Dauer der Krankheit bzw. der Quarantäne.
Bei Vorhandensein der vorgenannten Voraussetzungen, bezahlt das INAIL dem Arbeitnehmer eine Entschädigung für dessen temporäre Arbeitsunfähigkeit. Sollte der Arbeitnehmer gar an COVID-19 versterben, haben seine Hinterbliebenen Anrecht auf die Rendite gemäß Artikel 66, Nr. 1 und Artikel 4 des D.P.R. vom 30. Juni 1965, Nr. 1124.
Gelingt der Nachweis der Infizierung im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung nicht, gilt der Arbeitnehmer als in herkömmlichem Krankenstand, der weiterhin in die Zuständigkeit des INPS/NISF fällt (Art. 26 Eilverordnung „Cura Italia“ Nr. 18 vom 17. März 2020).

Haftung des Arbeitgebers.
Hinsichtlich der Haftung des Arbeitgebers für diesen spezifischen Arbeitsunfall gelten die herkömmlichen Bestimmungen des sog. „Einheitstextes über die Regelungen für die Pflichtversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten“ (D.P.R. vom 30. Juni 1965, Nr. 1124).
So schreibt der Artikel 10 des Einheitstextes vor, dass das INAIL den Arbeitgeber lediglich von seiner zivilrechtlichen, nicht aber auch strafrechtlichen Verantwortung für die versicherten Schäden befreit. Eine strafrechtliche Verurteilung des Arbeitgebers bedingt auch dessen zivilrechtliche Verantwortung, was wiederum zur Folge haben kann, dass das INAIL die Entschädigung zwar an den Arbeitnehmer auszahlt, sich aber anschließend besagte Beträge im Regresswege beim Arbeitgeber (der den Arbeitsunfall verschuldet oder nicht verhindert hat) zurückholt.
Die grundlegende Verpflichtung des Arbeitgebers, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten, findet ihre spezifische Regelung im Artikel 2087 des Zivilgesetzbuches sowie im sog. „Einheitstext für Arbeitssicherheit“ (G.v.D. Nr. 81 vom 09.04.2008).
Derzeit muss der Arbeitgeber in Südtirol neben obigen Bestimmungen auch das sog. „Protokoll zur Regelung der Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus am Arbeitsplatz“, das am 14. März 2020 von der Regierung und den Sozialpartnern unterzeichnet wurde, berücksichtigen.
Das Protokoll hatte anfänglich weisenden und empfehlenden Charakter, wurde aber – zumindest in der Autonomen Provinz Bozen – mittels Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr im Verzug des Landeshauptmannes Nr. 20/2020 vom 13.04.2020 als zwingend und rechtsverbindlich erachtet (Artikel 49).
Der Arbeitgeber muss demnach, auch um einer eventuellen strafrechtlichen Verantwortung für Arbeitsunfälle wegen Infizierung eines Mitarbeiters am Arbeitsplatz vorzubeugen, u.a. garantieren, dass die Abstandregelungen zwischen Personen eingehalten werden, angemessene Reinigungs- und Lüftungsmaßnahmen vorgenommen werden, Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt werden, den besonderen Aufklärungs- und Informationspflichten des Arbeitnehmers nachkommen und, soweit möglich, Fernarbeit fördern.

Wir unterstützen Sie jederzeit gerne vertieft zu diesem Thema.

RA Kathrin Platter und RA Julian Daniel